Henning Höne im Interview mit der Westdeutschen Zeitung: „Wir fürchten Neuwahlen nicht!“
Der Vorsitzende der FDP NRW und der FDP-Landtagsfraktion NRW, Henning Höne, gab der „Westdeutschen Zeitung“ das folgende Interview (26.10.2024). Das Gespräch führte Olaf Kupfer.
WZ: Herr Höne, was haben Sie in fünfeinhalb gemeinsamen Fraktionsjahren im NRW-Landtag vom heutigen Finanzminister Christian Lindner gelernt?
Henning Höne: Kühler Kopf in stressigen und hitzigen Situationen. Das konnte man sich bei ihm immer abgucken. Er hält klaren Kurs und lässt sich vom Tagesgeschäft nicht durcheinanderbringen. Eine sehr gute Eigenschaft.
WZ: Wir würden gerne mit Ihnen die Ampel in der Bundesregierung und die Rolle der FDP verstehen wollen. Lebt die FDP da in einer Beziehung mit Grünen und SPD, die sie am Ende gar nicht glücklich machen konnte?
Höne: Koalitionen sind Zweckbündnisse, sein Glück sollte man dort nicht suchen. In dieser Koalition war und ist es aber so schwierig wie nie. Die Unterschiede zwischen den Koalitionspartnern sind so groß wie wir das auf Bundesebene noch nicht hatten, noch dazu unter wirklich schweren Bedingungen. Gleichzeitig erinnere ich meine Partei immer daran, dass es eine schwarz-gelbe Koalition war, nach der wir zuletzt den Wiedereinzug in den Bundestag verpasst haben. Insofern ist die Lösung „zurück zum Ex“ zu einfach gedacht.
WZ: Zumal der Ex Ihnen ja hier in Düsseldorf mit dem schwarz-grünen Bündnis auch eine Enttäuschung zugefügt hat.
Höne: Ja, da ist Enttäuschung entstanden. Koalitionen funktionieren vor allem über persönliches Vertrauen. Nur darf man nicht naiv sein. Am Ende sind wir politisch im Wettbewerb, darum muss sich die FDP auf sich selbst und auf ihre eigenen Stärken konzentrieren. Unser Erfolg kommt aus uns selbst heraus, nicht aus einer Koalition.
WZ: Sie haben aber keinen Erfolg gerade. Was ist schiefgelaufen?
Höne: Die Bundesregierung gibt in Summe kein gutes Bild ab. Die Menschen haben das Gefühl, dass sich die Bundesregierung zu viel mit sich selbst beschäftigt. Der Spagat ist schwierig: Die Menschen erwarten zurecht, dass eine Partei selbst sichtbar ist und für ihre Überzeugungen streitet. Andererseits möchten sie aber auch, dass die Regierung sich zusammenrauft. Von daher arbeitet die Ampel nicht nur gegen eine Energiekrise, gegen große außenpolitische Herausforderungen und gegen eine wirtschaftliche Schwäche an, sondern auch gegen dieses Bild. Das ist ein Kampf an vielen Fronten.
WZ: Sehen sie Bemühungen, diese Front zu schließen? Wir haben Zweifel.
Höne: Natürlich haben auch wir Fehler gemacht. Aber wir schauen nach vorne, haben noch wichtige Aufgaben: in der Wirtschaftspolitik, bei der Migration und nicht zuletzt beim Erhalt eines funktionierenden Staates. Die Frage: Wie nehmen die Menschen eigentlich staatliche Institutionen in den letzten Jahren in Deutschland wahr? Aufgabe einer Regierung wäre es jetzt, Menschen den Optimismus zu geben, dass man zumindest schon mal Schritte in die richtige Richtung geht.
WZ: Viele haben den Eindruck, dass im Gegenteil gerade jeder jetzt in sein Lager zurückkehrt und den Wahlkampf vorbereitet. So würde eine gemeinsame Idee verunmöglicht.
Höne: Mir ist der damalige SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert am prägnantesten im Kopf: Nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen sagte er um 18:05 Uhr: „Jetzt lassen wir uns auch nicht mehr auf der Nase herumtanzen“, von den kleinen Parteien in der Koalition. Am Ende kann das Gesamtbild der Regierung nur besser werden, wenn alle einen Schritt aufeinander zugehen. Mit Balance: Einerseits können die Menschen zu Recht erwarten, dass eine Regierung sich zusammenrauft. Gleichzeitig darf aber auch niemand von einer Partei verlangen, dies inhaltlich bis zur Selbstaufgabe zu tun.
WZ: Glauben Sie tatsächlich, dass sich es sich irgendwie noch positiv auf die Beliebtheit der Regierung auswirken würde, wenn sich die FDP mit ihren Themen durchsetzt?
Höne: Dieses Land braucht ein Reformpaket, das die Agenda 2010 in den Schatten stellt. Dafür kämpfen wir. Ich bin davon überzeugt, dass sich ein solches Paket positiv auswirken würde. Ein Spiel dauert 90 Minuten. Wer sagt: „Die schaffen das nicht“, den erinnere ich daran, wie damals die Agenda 2010 zu Stande kam. Ob man das Gerhard Schröder und Joschka Fischer zugetraut hätte? Es ist oft genug vorgekommen in der Geschichte, dass Regierungen über sich und über die Erwartungen hinausgewachsen sind.
WZ: Herr Höne, erklären Sie uns Christian Lindners Taktik. Ist er ein Spieler?
Höne: Nein, ist er nicht. Er ist gerne Bundesfinanzminister. Und schmeißt sich mit allem, was er hat, in diese Aufgabe. Aber er hat zwei Aufgaben: die staatspolitische Verantwortung, ein Land in schwieriger Zeit stabil zu regieren. Aber auch die Verantwortung, dass es uns als FDP auch morgen noch gibt. In einem Land, in dem es nur eine liberale Partei gibt. Beiden Rollen wird er gerecht.
WZ: Will die FDP raus aus der Ampel?
Höne: Diese Debatte wird in der Partei natürlich geführt. Die FDP will das Land verantwortungsvoll gestalten und aus der Krise führen. Doch wenn es in den kommenden Wochen keine klaren Fortschritte bei der Wirtschaftswende, der Haushaltspolitik und der Migration gibt, kleben wir nicht an Posten. Wir sind stolz auf unsere Überzeugungen und Werte. Deshalb fürchten wir Neuwahlen nicht.
WZ: Wann?
Höne: Wir sind in einem Herbst der Entscheidungen.
WZ: Was kann denn jetzt noch kommen?
Höne: Bei aller Schande, die zu Recht über Gerhard Schröder gekommen ist: Er hat mit der Agenda-Politik ein Reformpaket durchgezogen, von dem er überzeugt war. Und von dem er wusste, dass er seine eigene Partei damit maximal unter Druck setzt, möglicherweise sogar spaltet, wie es dann am Ende auch gekommen ist. Das war die letzte Entscheidung von einem Politiker in diesem Ausmaß. Die meisten der wirklich wegweisenden Entscheidungen in der Geschichte dieses Landes waren umstritten und knapp. Westbindung und Wiederbewaffnung, Wiedervereinigung und mehr. Der Bundeskanzler muss sich fragen, ob er die Kraft und das Format dafür hat. Nur das Beispiel Wirtschaftspolitik: Die einen sagen, es brauche mehr staatliches Geld, die anderen wollen weniger staatliche Regulierung. Das Schlimmste, was man aber machen kann, ist nichts von beidem. Und genau das passiert.
WZ: Und was ist Ihre Lösung?
Höne: Das Beispiel Thyssen zeigt doch, dass es nicht darum geht, immer noch ein bisschen mehr zu fördern. Wie kann es sein, dass Thyssen trotz Subvention in Milliardenhöhe keine schwarzen Zahlen schreibt? Es geht um die Rahmenbedingungen! Thyssen ist der beste Beweis dafür, dass wir die Gesetze des Marktes nicht wegsubventionieren können. Auch nicht in der Autoindustrie: Bei VW wird 35 Stunden die Woche gearbeitet und die Sozialkosten steigen auf Rekordhöhe. Es liegt dann doch nicht nur an den Subventionen in China, dass der Golf von VW nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Andere Regionen auf dieser Welt sitzen da deutlich mehr auf dem Hosenboden. Diesen Schwung brauchen wir dringend in diesem Land. Und das ist dann auch die Aufgabe für die FDP.
WZ: Ist die Schuldenbremse der Fetisch der FDP?
Höne: Gerade in Krisen muss man zu seinen Überzeugungen stehen. Es hilft uns nicht, diese über Bord zu werfen, weil es vermeintlich bequemer ist. Ich bleibe auch inhaltlich von der Schuldenbremse überzeugt. Im nächsten Bundeshaushalt werden von zirka 480 Milliarden Euro mehr als 50 Milliarden neue Schulden sein. Das ist der Rahmen, den die Schuldenbremse zulässt. Und: Seitdem ich im Landtag bin, hat sich der Landeshaushalt nahezu verdoppelt, von 59 Milliarden Euro in 2012 auf aktuell über 100 Milliarden. Die Wahrheit ist: Seit Einführung der Schuldenbremse im Bund ist die Investitionsquote gestiegen.
SPD und Grüne sagen immer, die Schuldenbremse müsse fallen, um mehr Investitionen zu ermöglichen. Doch der Grund für ihre knappen Investitionsmittel liegt darin, dass sie den Konsum vorab für unantastbar erklärt haben. Solange in diesem Land ernsthaft darüber diskutiert wird, Langzeitarbeitslosen 1000 Euro zusätzlich zu zahlen, nur weil sie eine Arbeit aufnehmen – was eigentlich selbstverständlich sein sollte – kann das Problem nicht ein Mangel an finanziellen Mitteln sein. Die Sozialabgaben sind jetzt bereits bedenklich hoch und werden auf Rekordniveau steigen. Die Steuerbelastung ist um ein Vielfaches höher als zu Helmut Kohls Zeiten. Und trotzdem haben die Menschen das Gefühl, dass der Staat immer schlechteren Service bietet. Für mich ist daher klar: Der Staat muss viel mehr dafür tun, treffsicherer und effizienter zu werden.
WZ: Was ist Ihre Idee?
Höne: Wir können nicht immer älter werden und glauben, immer weniger und immer kürzer zu arbeiten. Das letzte Wirtschaftswunder gab es nicht mit der Vier-Tage-Woche. Und das nächste auch nicht. Dafür muss sich mehr Arbeit finanziell lohnen. Außerdem muss die Betreuungsinfrastruktur Priorität haben. Und wir müssen die Aktienrente ausbauen, damit alle Menschen in Deutschland von den langfristigen Gewinnen an den Börsen profitieren. Das ist besser als immer höhere Steuerzuschüsse in die Rentenkasse zu zahlen.
WZ: Herr Höne, was hat Christian Lindner für Fehler gemacht aus Ihrer Sicht?
Höne: Keine wesentlichen.
WZ: Könnte sich die FDP auch ein zweites Mal ohne Bundestag erholen?
Höne: Das wäre reine Spekulation. Ich tue alles dafür, damit es nicht dazu kommt.
WZ: Und Christian Lindner ist in der Partei ohne Alternative? Ist es an der Zeit, auch über eine neue Führung nachzudenken?
Höne: Ich tue das nicht.